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Warum die Ulmer*innen gerne schwören

„Reichen und Armen
ein gemeiner Mann zu sein
in gleichen, gemeinsamen und redlichen Dingen
ohne allen Vorbehalt.“

Diese Worte spricht der Oberbürgermeister in Ulm jedes Jahr am vorletzten Montag im Juli. Begeben wir uns auf eine Reise zu ihrem Ursprung.

Im späten Mittelalter bildeten die Patrizier in Ulm die Oberschicht. Ihnen gegenüber standen die Zünfte mit ihren Handwerkern und Händlern. Die Patrizier stellten den Bürgermeister und trafen im Rat der Stadt die politischen Entscheidungen. Die Zünfte durften nicht mitentscheiden.

Allerdings waren die Zünfte wichtig für den Reichtum der Stadt. Ihre Waren wurden auf Schiffen bis in ferne Länder transportiert und dort verkauft. Deshalb forderten die Zünfte auch politischen Einfluss. Daraus entfachte sich ein erbitterter Machtkampf. Aus diesem gingen die Zünfte als Sieger hervor.

Die neuen Machtverhältnisse wurden in der ersten Verfassung der Stadt niedergeschrieben, dem Kleinen Schwörbrief im Jahr 1345. Die Zünfte durften nun im Rat mitbestimmen. Außerdem leistete der Bürgermeister im Schwörbrief den Eid, alle Bürger ohne Unterschied behandeln zu wollen. In den Worten von damals lautet das: „Reichen und Armen ein gemeiner Mann zu sein.“ Die Formulierung „gemeiner Mann“ hat dabei nichts mit „Gemeinheit“, sondern vielmehr mit „Gemeinsamkeit“ zu tun.

Rund 30 Jahr später folgte das nächste wegweisende Ereignis: Die Grundsteinlegung des Ulmer Münsters. Das gigantische Bauwerk stand für seine reiche und selbstbewusste Bürgerschaft. Und diese wandelte sich weiter. 1397 verabschiedete sie den Großen Schwörbrief. Die Zünfte besaßen nun die deutliche Mehrheit im Rat.

Bürgermeister und Bürger beschworen die Verfassung und ihren Eid jedes Jahr aufs Neue. Allerdings: Die meisten Stadtbewohner – darunter alle Frauen – zählten gar nicht zur Bürgerschaft. Sie hatten politisch weiterhin nichts zu sagen. Die Schwörbriefe schufen also keine Demokratie. Sie waren aber wichtige Schritte auf dem Weg, mehr Menschen mitbestimmen zu lassen.

Für das Zeremoniell errichteten die Ulmer auf dem Weinhof eigens ein Schwörhaus. Der Tag des jährlichen Rituals erhielt den Namen „Schwörmontag“.

Das politische Ereignis gab auch Anlass zum Feiern. Dabei ließ man sich auf der Donau treiben, anders gesagt: „hinab-baden“, woraus das heutige „Nabada“ entstand. Und damals wie heute – nun ja – übertrieb es der eine oder andere... Aber zurück zur Politik. Heutzutage lässt der Oberbürgermeister am Schwörmontag die letzten zwölf Monate Revue passieren. In seiner Schwörrede legt er quasi einen Rechenschaftsbericht ab. Und Jahr für Jahr endet dieser mit der Schwurformel aus dem Jahre 1345:

„In dem Bewusstsein, dass wir alle in unserem Tun auf den Beistand Gottes angewiesen sind, schwöre ich deshalb zum Klang der Schwörglocke vom Münster mit denselben Worten wie meine Vorgänger, Reichen und Armen ein gemeiner Mann zu sein in gleichen, gemeinsamen und redlichen Dingen ohne allen Vorbehalt.