Navigation und Service

Springe direkt zu:

Inna Kovrik

Eine junge Frau Anfang zwanzig, die Haare zum Zopf gebunden.

Inna Kovrik lebte zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft, bevor sie ein WG-Zimmer fand.

Inna Kovrik war 19 Jahre alt, als Putin die Ukraine angegriffen hat. Schnell schickten ihre Eltern sie mit ihrer Schwester nach Deutschland, um sie in Sicherheit zu bringen. Inna musste schnell viel Verantwortung in einem fremden Land übernehmen.

Kannst du dich noch daran erinnern, als der Krieg in der Ukraine begann?
Das war der 24. Februar, an diesem Tag hat Putin die Ukraine angegriffen. Zwei Tage zuvor haben wir den Geburtstag meines Freundes gefeiert. Ich lebte zu dieser Zeit nicht mehr bei meinen Eltern, sondern circa 100 Kilometer von Kiew entfernt, wo ich studierte. Meine Mutter rief mich danach an und teilte mir mit, dass Krieg sei. Ich habe das nicht geglaubt und das ignoriert. Ich habe, da ich noch etwas von Kiew entfernt wohnte, die Bomben zuerst nicht mitbekommen. Meine Mutter rief mich sehr oft an, bis ich reagierte, und sagte mir, ich solle sofort nach Hause kommen. Als ich dann den Weg antrat und unterwegs gesehen habe, was los war, hatte ich große Angst. Ich habe schreckliche Situationen gesehen, ständig hörte ich die Sirene. Eines nachts dachte ich, das ist nun das Ende. Ich habe viele Gebäude gesehen, die komplett zerstört waren, Menschen schliefen auf dem Boden. Es gab viele Menschen, die gute Existenzen und eigene Unternehmen hatten, der Krieg hat ihnen alles genommen und alles ruiniert.

Wie ging es dann weiter? Musste dein Vater selbst in den Krieg ziehen?
Wir bekamen drei Wochen vor Kriegsbeginn die Nachricht, dass mein Vater an Krebs erkrankt ist und sich im vierten Stadium befindet. Die medizinische Versorgung ist nicht gegeben, das ist alles sehr schlimm. Da er außerdem nur noch auf einem Auge sehen kann, kam er als Soldat nicht in Frage. Mein Opa ist sehr alt und nicht transportfähig. Meine Mutter kümmert sich vor Ort um alles. Somit können die drei die Heimat nicht verlassen. Für mich war das alles sehr, sehr schwierig. Ich musste sofort mit meiner zwölfjährigen Schwester das Land verlassen.

Wie war das für euch?
Ich habe damals überhaupt nicht verstanden, was da passiert und warum das passiert. Ich konnte nicht glauben, dass das real ist.

Wie lief die Flucht ab?
Zuerst mussten wir in einen Zug steigen, dann sind wir vier Tage mit dem Bus gefahren. Das lag daran, dass in diesem Bus auch Tiere wie Hunde und Katzen transportiert und punktuell aufgesammelt und verteilt wurden. Das hat natürlich gedauert. Manchmal konnten wir an einer Tankstelle etwas zu essen kaufen, aber das Geld reichte nicht, um sich mal einen Kaffee zu kaufen. Zunächst sind wir nach Nürnberg gebracht worden, dann ging es über München nach Ulm.

Wie war das erste Gespräch mit deinen Eltern nach Eurer Ankunft in Deutschland?
Meine Eltern waren traurig und voller Sorge um uns. Sie haben versucht, uns das nicht zu zeigen. Es war schwer, sie zu hören. Ich hatte seit Kriegsbeginn oft Depressionen und mir ging es nicht gut. Ich versuche viel Sport zu treiben und meine Gedanken aufzuschreiben.

Du bist selbst noch jung und musstest von einem Moment auf den anderen für deine Schwester da sein. Wie war das für dich?
Ich habe mich sofort verantwortlich gefühlt und konnte meine Hände nicht tatenlos in den Schoß legen. Es war alles sehr schwierig für mich. Wir sind in Deutschland in den Mähringer Weg gekommen und waren dort mit vielen Menschen aus der Ukraine zusammen. Aber das war nicht einfach, denn wir haben uns untereinander nicht immer verstanden. Zwar bin ich erst 19 Jahre alt, aber ich hatte die Verantwortung für meine Schwester. Von den anderen Erwachsenen wurde ich so leider nicht behandelt, sondern wie ein kleines Kind.

Wie war das für dich, zum erstem Mal in Ulm zu sein?
Ich war so überrascht, wie schön Ulm ist. Trotzdem war es zu Beginn schwierig, denn ich fühlte mich sehr fremd. Ich habe später selbst auf dem Kuhberg ein WG-Zimmer mit internationalen Mitbewohnern gefunden. Meine Schwester war natürlich auch bei mir. Auf Englisch konnte ich mich gut verständigen.

Wie ging es deiner Schwester, sie ist ja noch viel jünger als du?
Das war sehr schwierig. Sie wollte nichts machen, sie hatte keine Lust zu nichts - sie war apathisch. Ich konnte sie nicht mehr so betreuen, wie ich mir das gewünscht hatte. Sie brauchte eine andere Form der Aufmerksamkeit, die ich ihr nicht geben konnte. Somit hatte meine Mutter entschieden, dass sie wieder zurück zu unseren Eltern fahren soll. Seit zwei Monaten ist sie wieder dort. Man darf nicht vergessen: Ich bin ihre Schwester, nicht ihre Mutter. Ich musste selbst schauen, dass ich mein Leben meistern kann.

Was vermisst du am meisten aus deiner Heimat?
Ich vermisse meine Eltern sehr und einfach alles aus meiner Heimat. Meine Eltern habe ich seit Kriegsbeginn nicht mehr gesehen. Wir skypen zwar, aber das ist nicht dasselbe wie ein persönliches Treffen.

Wie geht es deinen Eltern jetzt?
Meine Eltern sind immer noch in der Heimat, aber es wird immer schwieriger und schlimmer. Mittlerweile gibt es ununterbrochen Angriffe, unter anderem auf Kindergärten und Schulen, wenn Menschen in diesen Gebäuden sind. Ich versuche Abstand von diesen Nachrichten zu bekommen. Da mein Vater medizinisch mit seiner Krankheit nicht versorgt werden kann, versuche ich von hier aus zu helfen. Es wäre schön, wenn meine Eltern hier sein könnten und mein Vater die medizinische Versorgung bekommt, die er braucht.

Bereust du deine Flucht?
Nein, es war alles richtig. Meine Eltern hatten für uns die richtige Entscheidung getroffen.

Wenn du drei Wünsche hättest, was würdest du dir wünschen?
Ich möchte Frieden in meinem Heimatland. Ich möchte mich selbst immer gesund und stabil fühlen, denn der Krieg hat mich schwer betroffen gemacht. Und ich möchte alle meine Ziele erreichen und später eine gute Arbeitsstelle bekommen.

Wie planst du deine Zukunft?
Ich möchte gerne studieren und später im sozialen Bereich arbeiten. Aber zunächst ist es wichtig, den Sprachkurs zu Ende zu machen und dann mein Studium abzuschließen. Ich habe in Ulm Freunde gefunden. Auch meinen Freund habe ich hier kennengelernt - er kommt wie ich aus der Ukraine. Ich möchte gerne in Deutschland bleiben, ich fühle mich in Ulm sehr wohl. Ich bin zwar alleine, aber ich fühle, dass ich unterstützt werde. Ich liebe Ulm und ich möchte in keiner anderen Stadt oder in einem anderen Land leben. Ich liebe es, zu reisen und neue Orte kennenzulernen. Wenn ich Deutsch richtig gut beherrsche, dann möchte ich Türkisch lernen, weil ich türkische Filme liebe und die Sprache sehr mag.

Wie war der Schwörmontag für dich?
Das war sooo schön! Ich habe sowas noch nie live gesehen. Ich habe viele Foto gemacht und diese direkt meinen Eltern geschickt. Es war unglaublich!

Bis 1991 war die Ukraine Teil der Sowjetunion, und zwar als eine von 15 Sowjetrepubliken. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden aus diesen Republiken eigene Staaten.

Die ukrainische Bevölkerung wünscht sich schon länger, Mitglied der EU zu werden. 2013 protestierten hunderttausende Menschen in Kiew und forderten den Beitritt in die EU, die sogenannte „Maidan-Revolution“ fand statt. Daraufhin schritt die Polizei gewaltsam gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten ein.

Russland nahm die ukrainische Halbinsel Krim gewaltsam in ihren Besitz und brach dabei völkerrechtliche Verträge. Die Situation zwischen Russland und der Ukraine spitzte sich immer weiter zu. Seit 8 Jahren kämpft die Ukraine gegen russische Separatisten. Nur wenige Tage, bevor Russland den Großangriff auf die Ukraine startete, wurden die Städte Donezk und Luhansk zum russischen Staatsgebiet erklärt.

Russlands Präsident Putin forderte, dass die Ukraine niemals Mitglied der NATO werden darf. Die NATO-Osterweiterung 2004 durch die Länder Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen sieht Russland als Bedrohung an. Putin verlangt, dass es keine Erweiterung der NATO mit der Ukraine, Georgien und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken geben soll. Außerdem fordert er, dass die NATO weder Waffen in der Ukraine und weiteren Sowjetrepubliken stationieren soll, ebenso auch keine militärischen Aktivitäten.

Russland ist durch sein Militär seit dem Frühjahr 2021 an der ukrainischen Grenze stationiert. Putin begründet die Militärpräsenz damit, dass die Ukraine eine Militäroffensive im Donezkbecken plane. Im vergangenen Jahr am 24.02. griff Russland die Ukraine an.

Russland fordert unter anderem, dass die Krim als russisches Territorium anerkannt wird und die „Volksrepubliken“ im Donbass unabhängig werden sollen. Außerdem unterstellt er der ukrainischen Regierung, die von dem jüdischen Präsidenten Selenski geführt wird, faschistisch zu sein. Putin spricht von Entnazifizierung" und „Entmilitarisierung“. Weiter behauptet er, dass der Osten der Ukraine Völkermord an der russischen Minderheit begangen habe. Allerdings gibt es bisher dazu keine Hinweise.

Direkt nach dem Kriegsbeginn haben die Nato- und die EU-Staaten umfangreiche Sanktionen gegen Russland verhängt. Seit Kriegsbeginn sind brutale Kriegsverbrechen an Ukrainer*innen, verübt durch russische Soldaten, bewiesen worden.

Die humanitäre Lage hat sich in der Ukraine verschlechtert. Seit Kriegsbeginn haben 13,7 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer ihre Heimat verlassen, davon sind 6,4 Millionen Geflüchtete wieder zurück in die Ukraine gegangen. Insgesamt sind ca. 6,3 Millionen Ukrainer*innen in europäische Nachbarstaaten geflüchtet und mehr als 7 Millionen Menschen flüchten innerhalb ihres Landes.

Ein Ende des Krieges ist noch lange nicht in Sicht.