Die neue Synagoge
Mit dem neuen Gemeindezentrum ist ein zentraler Anlaufpunkt für die 450 Mitglieder große jüdische Gemeinde in Ulm entstanden. Deshalb beherbergt das architektonisch hochwertige Gebäude außer der Synagoge und der Mikwe auch einen Gemeindesaal, einen Kindergarten, ein Jugendzentrum, eine Bibliothek und einen kleinen Einkaufsladen.
Die Israelitische Oberkirchenbehörde stimmte am 7. April 1868 dem Bau einer Synagoge in Ulm zu. Vier Jahre später war das Gotteshaus, nach Plänen des Stuttgarter Architekten Adolf Wolff, im Rohbau fertig und konnte nach dem Innenausbau im September 1873 eingeweiht werden. Die zeitgenössischen Berichte zeugen davon, dass nicht nur die jüdische Gemeinde Anteil an dem Festtag nahm.
Die Häuser des Weinhofes waren reich geschmückt und prominente Vertreter von Stadt und Militär geleiteten den feierlichen Umzug der Tora vom Gasthaus "Schwanen" in die Synagoge. Die Synagoge war innen und außen im orientalischen Stil gehalten und in zwei Stockwerke unterteilt. Die Fenster waren bunt verglast. Auf der Empore saßen die Frauen und im unteren Bereich die Männer.
Eine Besonderheit bestand vor allem darin, dass die Synagoge über eine Orgel verfügte. Diese Übernahme eines Elementes christlicher Kirchenmusik fand Widerspruch bei der orthodoxen Minderheit der Gemeinde. Neben der Orgel sorgte auch ein Chor für die musikalische Untermalung der Gottesdienste. Weitere Gebäude der israelitischen Gemeinde waren das Gemeindehaus am Weinhof 3 und das Rabbinat in der Langen Straße 18.
Die Reichspogromnacht am 9. November 1938 stellt einen moralischen Tiefpunkt der Stadtgeschichte dar. Von "spontanem Volkszorn" konnte keine Rede sein. Auch in Ulm waren die Pogrome organisierter Staatsterror. In der Nacht vom 9. zum 10. November wurde auf Weisung des Führers der SA-Gruppe Süd-West die Synagoge am Weinhof in Brand gesetzt. Zwar richtete das Feuer keinen großen Schaden an, trotzdem wurde das Gebäude wenig später auf Anweisung der Stadtverwaltung abgerissen. Die tätlichen Übergriffe in Ulm forderten zunächst keine Todesopfer. Zwei Ulmer Juden starben jedoch später im KZ Dachau an den Folgen ihrer Verletzungen. Zur historischen Wahrheit gehört, dass sich die große Mehrheit der Ulmer Bevölkerung zwar nicht aktiv an den Übergriffen beteiligt hat - sich für die jüdischen Mitmenschen eingesetzt haben sich aber die Wenigsten.
Mit der Ankunft des Rabbiners Shneur Trebnik im Jahre 2000 begann die Aufbauarbeit eines geregelten Gemeindelebens, nachdem die Zahl der in Ulm lebenen Juden bereits seit 1990 angestiegen war. Die Gebets- und Gemeinderäume in der Neutorstraße wurden bald zu eng und es stellte sich die Frage nach einem neuen Standort für eine Synagoge.
Die letztendliche Initiative für den Standort Weinhof, im Zentrum der Stadt und in unmittelbarer Nähe zum historischen Standort der zerstörten Synagoge, ging auf den Landtagsabgeordneten Martin Rivoir zurück. Die Idee wurde von Oberbürgermeister Gönner und dem Ulmer Gemeinderat aufgegriffen und der Weg zu einem Neubau durch die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) geebnet. Den anschließenden Architekturwettbewerb konnte das Büro "kister scheithauer gross architekten und stadtplaner GmbH" aus Köln für sich entscheiden. Der Spatenstich erfolgte nach umfangreichen archäologischen Grabungen am 17. März 2011.
Im Beisein von knapp 400 Ehrengästen und einer großen Anzahl Ulmer Bürgerinnen und Bürger im benachbarten Zelt wurde am 2. Dezember 2012 die neue Synagoge auf dem Weinhof eingeweiht. Die große politische Bedeutung des Tages unterstrich der Besuch des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Joachim Gauck. In seiner Rede erinnerte er sowohl an die viele Jahrhunderte zurückreichende Tradition des Judentums in Deutschland, als auch an die schwärzeste Zeit deutscher Geschichte, die Nazi-Herrschaft und den Holocaust. Er schloss mit den Worten: "Ich kann es gar nicht sagen, wie dankbar ich dafür bin, den heutigen Tag erleben zu dürfen".
Anlässlich der Eröffnung hatte die Stadt 70 in Ulm geborene Juden zu einem Besuch der alten Heimat eingeladen. Es waren emotionale und fürwahr bewegende Tage - für Gäste und Gastgeber.
Alle Nutzungen sind in dem glatten Baukörper zusammengefügt: Foyer, Synagoge, Mikwe (Ritualbad), Versammlungssaal, Schul- und Verwaltungsräume, sowie die Kindertagesstätte mit einem nicht einsehbaren Innenhof, der direkt über dem Sakralraum liegt. Die Räume sind orthogonal organisiert. Nur die Synagoge ist um die einzige freistehende Stütze des Gebäudes gedreht, ihre Achse verlagert sich in die Diagonale.
Der Ausrichtung nach Südosten liegt eine übergeordnete religiöse Bedeutung zu Grunde, sie zielt geographisch exakt nach Jerusalem, dem geistigen und religiösen Zentrum des Judentums. Durch den diagonal ausgerichteten Sakralraum entsteht das Eckfenster, welches mit dem Motiv des Davidsternes als Raumfachwerk spielt. Anhand von über 600 Öffnungen ergibt sich in der Synagoge ein vielfach illuminierter Raum mit Schwerpunkt auf dem liturgischen Herzstück, dem Thoraschrein. Die mittels eines Hochdruck-Wasserstrahls hergestellte Perforation der Fassade umspielt innen den Schrein und bildet nach außen die Synagoge ab.
Mit der präzisen Setzung eines maßstabsgerechten, einfachen Baukörpers fand der Weinhof einen klaren räumlichen Abschluss nach Norden. Der Weinhofberg wird als beidseitig gefasster Straßenraum bis zu seinem heutigen Hochpunkt geführt; die Sattlergasse „fließt“ nicht mehr übergangslos in den Platz, sondern findet an der östlichen Stirnseite der Synagoge optischen Halt und geht akzentuiert in den Platz über. Die Dimensionen der Synagoge führen den Dialog der stattlichen Bürgerhäuser mit dem unverändert dominanten Schwörhaus auch an der Nordseite des Weinhofs fort; der direkte Eingang vom Platz auf der Südseite der Synagoge und die hochwertige Fassadengestaltung tragen zusätzlich zur Aufwertung. Die neue Synagoge ist so ein echter Stadtbaustein in der Entwicklung der Innenstadt.